Agile Missverständnisse: Der neue agile Manager

Agile Missverständnisse: Der neue agile Manager

Avatar von Johann-Peter Hartmann

Selbstorganisation entsteht nicht von alleine, sie braucht Ziele, Kompetenzen, Kooperationsmuster und Methoden. Jeder agile Coach weiß das und viele haben die Erfahrung gemacht, dass man diese Dinge nicht voraussetzen darf, sondern die Umgebung dafür bereitstellen muss.

Weil das Team das ganz offensichtlich nicht von sich aus kann – denn dann wäre es ja bereits selbstorganisiert – muss das woanders herkommen. Aber was mache ich jetzt als agiler Coach? Die Kollegen überreden? Mühsam, und ich kann mich nicht darauf verlassen, dass sie es dann tatsächlich machen. Workshops? Zertifikate? Offizielle Firmenstrategien? Management-Statements?

Autoritäres Management

Die Hilfe kommt von unerwarteter Seite: dem autoritärem Management. 

„Befehle es den Kollegen einfach. Sage: Das ist eine Management-Anweisung, Ihr müsst das jetzt so machen.“

Natürlich weiß der agile Coach, dass diese klare Ansage und die Erwartung, dass die Kollegen auch ohne eigenes Interesse und eigene Verantwortung das dann richtig umsetzen, eher kritisch zu bewerten ist. Ist agil denn nicht gekommen, um mit dezentraler Entscheidungsfindung bessere Adaption zu liefern? Auf der anderen Seite: Ich weiß ja schon, dass es gut für die Kollegen sein wird, als wäre es in diesem Fall wohl legitim. Und so nutze ich als agiler Coach die Freiheit, hier auf altbewährte Managementtraditionen – sei es selbst als benevolent dictator oder im Konzern-Stil durch ein von mir eingeforderter offizielles Management-Statement – zu setzen. 

Verbindlich, schnell & nachhaltig?

Auf einmal wirkt klassisches Management deutlich verführerischer als vorher, denn dieses Mal dient es ja meinen Interessen. Dieses Mal dient es ja der richtigen Sache und die Lösung ist so viel einfacher zu bekommen, als sie durch Coaching umzusetzen:

  • Die Kollegen machen nicht das richtige? Sie brauchen ein Machtwort vom Management? 
  • Ein Kollege stört das Team? Der braucht eine klare Ansage von oben!
  • Das Team findet meinen Prozeß nicht gut? Wo bleibt das Statement der Firma, dass das jetzt so ist? 
  • Das Team will nicht kooperieren? Die Führung muss ihn in ein anderes Team versetzen!
  • Der Kollege kritisiert meine Entscheidungen vor allen Leuten? Das Management sollte ihn aus der Firma werfen, er ist ein Störer.

Mit jeder dieser Entscheidungen, mit jedem Mal, wo ich als agiler Coach klassische Hierarchie und Weisungsbefugnis aus dem Hut ziehe, glaube ich, eine verbindliche, schnelle und nachhaltige Lösung zu bekommen.

Der neue agile Manager

In Wahrheit mache ich aber etwas anderes: Ich löse die Probleme nicht, ich ändere nur die formelle Welt; unabhängig davon, ob die informelle, wahre Welt dieser Vorgabe dann folgt oder nicht. Wenn es nicht klappt wäre es ohnehin nicht mehr mein Problem, sondern Management- oder Mitarbeiter-Versagen. Wird die Management-Anweisung nicht befolgt, ist das ein Problem des Managements und der Kollegen, nicht meines. Wenn das Durchgreifen des Managements versagt, dann muss es eben härter durchgreifen!

Und auf einmal wird aus agil eine infame Form von klassischer autoritärer Führung, bei der man zwar Eigenverantwortung und Selbstorganisation verlangt, nur das es jetzt die eigene Verantwortung für die Entscheidungen des Managements und die Selbstorganisation nach strikten Vorgaben ist.

Aus der Rolle des agilen Coaches bin ich auf einmal in die Rolle des klassischen Managers gerutscht, der das Gleiche macht wie die Generationen schlechter Manager davor: Ich nehme die Kollegen nicht ernst, ich vertraue Ihrer Entscheidungskraft nicht, ich ignoriere ihre Kompetenz und ich erwarte dabei, dass sie Ansagen folgen statt selbst zu denken und zu gestalten. Nur dass ich mir mit dem Deckmantel des Agilen Legitimität zuspreche – während ich parallel das Entstehen von echter Agilität aktiv verhindere und den Kollegen dabei zeige, dass es am Ende doch auf hierarchisches Management hinausläuft.

Agile Missverständnisse

Agile Methoden haben eine klare Intention: Sie wollen die Wertschöpfung bei der Entstehung von Software steigern. Sie bieten zu diesem Zweck gleich einen ganzen Stapel von Werten, Prinzipien und Methoden an, die dabei unterstützen.

In der Praxis sind die Intentionen hinter diesen Werkzeugen oft nicht mehr so klar, und manchmal gehen sie ganz verloren; die Methode bleibt, mit ihren Umständlichkeiten und Haken, nur ohne den erwünschten Effekt. Über diese Art von agilen Missverständnissen will ich hier berichten – und darüber, wie man mit ihnen umgeht. Dafür habe ich diese Beiträge geschrieben:

Unsere Serie Agile Missverständnisse


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