In der Zusammenarbeit erleben wir als Dienstleister immer wieder mal, dass der Kunde zwar unsere erfolgreiche Arbeit schätzt, unser Drängen auf agile Methoden aber als exzentrische Marotte betrachtet. Irgendwie kommt man dann natürlich auch ins Grübeln, wie man am besten erklärt, dass nicht der Auftraggeber hier dem Externen einen Gefallen tut, sondern der Experte bereits an dieser Stelle auf das Kundenproblem eingeht.
Was steckt also hinter der Strategie, statt große Gewerke mit Pflichten- und Lastenheft zu vereinbaren, lieber darauf zu setzen, dass der Kunde jederzeit seine Meinung komplett ändern darf?
Stacey über Probleme
Begonnen haben wir die Reise mit „Agil ist modern, wir machen das jetzt auch“, fortgesetzt haben wir das mit „Wir machen agil, nicht weil es hipp ist, sondern weil wir damit erfolgreiche Projekte machen“. Angekommen sind wir an einem Punkt, an dem wir feststellen, dass Wissenschaft und Erfahrungswerte aus der Praxis uns lehren, dass unsere Aufgaben typischerweise in einem Bereich liegen, in dem agile Methoden schlicht die logische Folge aus den Rahmenbedingungen unserer Projekte sind.
Bereits 2002 veröffentlichte Ralph Stacey die nach ihm benannte Matrix. Projektsituationen werden verortet in einem Diagramm mit den Achsen „Was“ (das Ziel des Kunden) und „Wie“ (die zu verwendenden Technologien). Stacey bezeichnet verschiedene Teilbereiche hier als einfach, kompliziert, komplex und chaotisch. Als Kriterien kommen hier zum tragen:
- Einfach sind Probleme, bei denen Einigkeit über die Ziele besteht und die Mittel zur Erreichung klar sind.
- Kompliziert sind Probleme, bei denen entweder keine ausreichende Einigkeit über die Ziele herrscht — hier spricht Stacey von „Political Decisionmaking“, also dem Verfolgen von unterschiedlichen Agenden –, oder dass die Methode der Umsetzung unklar ist. Hier ist die Art der Entscheidungsfindung „judgemental“, also eher ideologisch, statt rein rational.
- Chaos zeichnet sich durch einen hohen Grad an Unsicherheit sowohl bei den wünschenswerten Zielen, als auch bei den zu ergreifenden Mitteln aus. Üblicherweise versucht man im Geschäftskontext, solche Situationen zu meiden, da sie ein hohes Risiko beinhalten.
- Zwischen Complicated und Chaos ist ein großer Korridor aus Situationen, die Stacey unter „Komplex“ subsummiert. Erprobte, feste Methoden schlagen hier oft fehl.
Betrachtet man die Welt nun rein aus dieser Perspektive, so ergibt sich der Raum des Komplizierten als das, wofür man sich als Betreiber eines Geschäfts einen Experten heranzieht, der Probleme mit hinreichendem technischen Know-how löst. Die Herausforderung für den Experten ist hier, alle technischen Probleme zu lösen, ohne sich jedoch in die politische Ebene hineinziehen zu lassen, da er dort nichts ausrichten kann. Natürlich ist es schwierig für den Kunden, den Übergang zu erkennen, der auf der Achse der technischen Sicherheit ein kompliziertes Problem zu einem komplexen macht. Hieraus ergibt sich für einen Dienstleister die Notwendigkeit, Erwartungsmanagement zu betreiben.
Cynefins Domänendefinition
Kombiniert man jetzt aber Stacey mit dem Cynefin-Modell des walisischen Wissenschaftlers Dave Snowden, wird einiges schlagartig deutlicher. Die Einteilung ist weitgehend gleich, allerdings wird hier über „Disorder“ der Übergang modelliert, bei dem nicht klar ist, in welchem der definierten Zustände man sich befindet.
- In der Problemklasse „Einfach“ sind Ursache und Wirkung allgemein einleuchtend. Hat man eine Situation hier eingeordnet, liegt eine „Best Practice“, eine bewährte Lösung für bekannte Problemstellungen vor. Beispiel hierfür sind etwa die Entwurfsmuster in der Softwareentwicklung.
- Befindet man sich im „Kompliziert“-Bereich, kann die Ursache-Wirkung-Beziehung noch durch hinreichende Analyse ergründet werden. Snowden spricht hier von „Good Practice“. Im Gegensatz zur Best Practice kann es für ein Problem mehrere gleichwertige Lösungen geben, daraus ergibt sich der Raum für die ideologiebasierten Entscheidungen, die Stacey hier sieht.
- Im komplexen Bereich lassen sich die Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung nicht mehr durch Analyse im Vorab bestimmen. Stattdessen wird das Verhalten des Systems beobachtet, um im Nachhinein Regeln abzuleiten, anhand derer Voraussagen für die Zukunft generiert werden können. Lösungsstrategien werden hier als emergent bezeichnet, da nicht auf vorgefertigte Rezepte zurückgegriffen werden kann.
- Für chaotisch ablaufende Systeme kann auch im Nachhinein die Ursache-Wirkung-Beziehung nicht geklärt werden. Zur Anwendung kommen hier innovative Praktiken, bei denen der Erfolg permanent geprüft werden muss.
- Befindet man sich im unbekannten Bereich, läuft man Gefahr, die falsche Methode zu ergreifen. Hierbei wirkt sich eine falsch gewählte „Best Practice“ schlimmer aus, als eine emergente Methode bei einem einfachen Problem.
Fazit aus Sicht eines Dienstleisters
Unseren Kunden würde ich als Ergebnis also Folgendes auf den Weg geben:
- Wenn Ihr Problem einfach ist, lösen Sie es entweder selbst, oder beschreiben Sie es genau genug, um es an den günstigsten Anbieter zu delegieren.
- Ist das Problem hingegen kompliziert, prüfen Sie, ob der potentielle Auftragnehmer genügend eigene Erfahrung mitbringt, um die technischen Aspekte zu lösen, die Ihre Kernkompetenzen überschreiten. Wirken Sie aber mit, die politischen Aspekte von den technischen zu trennen.
- Für komplexe Probleme gibt es Dienstleister mit großer Erfahrung auf technischer Ebene. Niemand wird erfolgreiche Lösung garantieren, allerdings steigert das Finden eines kompetenten Partners hier die Erfolgswahrscheinlichkeit erheblich.
- Haben Sie ihr Problem als chaotisch identifiziert, versuchen Sie entweder, das „Was“ oder das „Wie“ soweit festzulegen, dass sie diesen Sektor verlassen. Ein guter Partner kann Sie auch dabei beraten.
Dieses Modell bildet zwar übersichtlich die Situation im Projekt ab, vernachlässigt dabei aber eine wichtige Komponente: die Dynamik. Egal, ob der Markt sich dreht, die technischen Anforderungen oder die Ausrichtung der eigenen Firma sich ändern — die größte Herausforderung ist es, die künftig möglichen Situationen im Blick zu haben. Auch hier hilft ein guter Partner, der auf Veränderungen reagieren kann.
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