Die Bedeutung von organisationalem Lernen beim agilen Skalieren

Die Bedeutung von organisationalem Lernen beim agilen Skalieren

Avatar von Helen Sedlmeier

Bei agilem Vorgehen werden Entscheidungen nicht einmalig, sondern fortlaufend getroffen. Durch das schrittweise Entscheiden und Vorgehen werden permanent zusätzliche Informationen über die Entscheidungssituation, die (möglichen) Zusammenhänge und das Wirken der bisherigen Entscheidungen gesammelt. Zudem kommen weitere Veränderungen hinzu.

Dieser Umstand erfordert eine Verankerung von Lernen. Dieses Lernen geht jedoch über die individuelle Ebene hinaus. 

Um in diesem Zusammenhang ein zielgerichtetes und reflektiertes Vorgehen zu ermöglichen, möchte ich das Konzept des organisationalen Lernens von Argyris und Schön anführen.

Single, Double & Triple Loop Learning 

Im Konzept des organisationalen Lernens unterscheiden Argyris und Schön drei Lernformen: das Einschleifen-Lernen (Single-Loop-Learning), das Doppelschleifen-Lernen (Double-Loop-Learning) und das Zweit-Lernen (Triple-Loop-Learning).

Quelle: Innovations in international humanitarian action (PDF), S. 10

Das Einschleifen-Lernen ist ein Anpassungslernen: Ein abweichendes Ergebnis wird durch Handlungen korrigiert, aber zugrundeliegende Annahmen werden nicht angepasst. Es wird sich am gewohnten Rahmen, Annahmen und den möglichen Vorgaben orientiert.

Das Doppelschleifen-Lernen ist ein Veränderungslernen: Dabei werden sowohl die bestehende, handlungsleitende Theorie als auch die zugrundeliegenden Annahmen hinterfragt und angepasst. Die handlungsleitenden Theorien sind Aktivitätsmuster, die Handlungen und Verhalten umfassen. Beim Doppelschleifen-Lernen ist das Einschleifen-Lernen ebenfalls möglich.

Das Zweit-Lernen erfolgt auf der Grundlage des vergangenen Gelernten. Es umfasst den Prozess, vom Einschleifen-Lernen zum Doppelschleifen-Lernen zu gelangen. Es umfasst somit das Meta-Lernen (Lernen zu lernen).

Das Modell zeigt also auf, dass Lernen mehrere Facetten hat. Damit jedoch noch nicht genug. 

Lernsysteme & Bezug zum agilen Kontext

Argyris und Schön differenzieren zwischen zwei Lernsystemen von Unternehmen:

  • O-I-Lernsysteme sind defensiv und beherrschen lediglich das Einschleifen-Lernen.
  • O-II-Lernsysteme sind offensiv und können das Doppelschleifen-Lernen anwenden.

Die handlungsleitenden Theorien zwischen den Lernsystemen unterscheiden sich grundlegend. (Recap: Handlungsleitende Theorie meint hier Aktivitätsmuster, die Handlungen und Verhalten umfassen.)

O-II-Lernsysteme sind selten und als Idealzustand zu betrachten, an die eine Annäherung erfolgen kann. In Bezug auf agiles Arbeiten ist eine Annäherung an ein O-II-Lernsystem erforderlich. Dafür bedarf es gemäß Argyris und Schön Selbstreflektion, Mut, Respekt und kritisches Denken. Diese Eigenschaften werden durch die agilen Prinzipien und Werte befördert. Mehr zu agilem Mindset findet ihr hier.  

Vor kurzem ist der neue State of Agile Report veröffentlicht worden. Herausforderungen, die dort skizziert werden, zeigen, dass Unternehmen mit agilem Arbeiten Herausforderungen haben. Die Herausforderungen lassen vermuten, dass dort kein (ausreichendes) O-II-Lernsystem etabliert ist.

Bezug zur agilen Skalierung 

Über die Voraussetzungen zur agilen Skalierung und weshalb man Skalierungs-Frameworks anpassen sollte, habe ich bereits beschrieben.

Die Einführung eines skalierten agilen Frameworks oder eine Eigenentwicklung ist eine umfangreiche Aufgabe. Der Bedarf kann nicht vollständig a priori identifiziert werden. Ob sich Praktiken als sinnvoll erweisen, stellt sich erst heraus, nachdem sie umgesetzt wurden. Zudem befindet sich das Umfeld in einem konstanten Fluss der Veränderung. Das Beobachten und eine flexible Bedarfsorientierung sind daher erforderlich.

Dazu ist es dienlich, eine Vision/Richtung als Ausrichtung für die agile Skalierung zu nutzen. Dabei kann ein Framework als möglicher Zielzustand (aber nicht als zu erreichender Endzustand) verstanden werden.

Um herauszufinden, wie die agile Skalierung gestaltet werden kann, ist ein schrittweises Einführen nötig, welches in einem iterativen, inkrementellen und somit kontinuierlichen Einführungsprozess mündet. Dies ermöglicht die Überprüfbarkeit der Fortschritte und minimiert das Risiko von Fehlentscheidungen. Die Ausgestaltung des skalierten agilen Frameworks geschieht folglich fortlaufend durch das inkrementelle Vorgehen und Lernen.

Bisherigen Erfolge oder Misserfolge können strukturiert reflektiert werden, um die schrittweise Entscheidungsfindung und die dadurch entstehenden Zielzustände zu bewerten. 

Das Konzept von Argyris und Schön ermöglicht es, eine kontinuierliche Überprüfung, Verbesserung und Anpassung von Entscheidungen durch das Lernen zu schaffen. Im Rahmen des Einschleifen-Lernens können Anpassungen realisiert werden, die einen Anpassungs- und Optimierungscharakter aufweisen. Im Rahmen des Doppelschleifen-Lernens können getroffene Annahmen überdacht werden, auf denen bisherige Entscheidungen basieren. Dies führt zu einer Neubewertung der Lage und kann bis dahin getroffene Entscheidungen revidieren.

Das Zweit-Lernen erfolgt auf der Grundlage des vergangenen Gelernten. Es umfasst den Prozess, vom Einschleifen-Lernen zum Doppelschleifen-Lernen zu gelangen. Aus der Verbindung von Einschleifen- und Doppelschleifen-Lernen entfaltet sich ein Weg für eine Mustererkennung und Veränderung von grundlegenden Einstellungen, welche wiederum die Handlungsweisen beeinflussen können.

Fazit

Ein gemeinschaftliches Lernen und Teilen der Informationen ermöglicht einen gemeinsamen Lernprozess und kontinuierliche Veränderung. Es wird sich in einen gemeinschaftlichen Prozess der informierten und reflektierten Dauerjustierung begeben.

Dieses Vorgehen entspricht übrigens auch dem Probiere-Erkenne-Reagiere-Ansatz des Cynefin-Frameworks. Damit das kein trockener, theoretische Artikel bleibt, empfehle ich dir, bei Open Space Agility vorbeizuschauen. Dieses Konzept basiert (meiner Meinung nach) auf organisationalem Lernen und kann Einschleifen-, Zweischleifen- und Zweit-Lernen ermöglichen.   

Quelle

  • Argyris, C., Schön, D. A., Die lernende Organisation, 2018

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