Reminder: Kultur & Mindset

Avatar von Helen Sedlmeier

Gemäß der Enzyklopädie der Software-Entwicklung besteht keine offizielle Definition für agile Software-Entwicklung[1].

Die agile Software-Entwicklung wurde von Entwicklern entworfen[2], weshalb sie im starken Kontrast zu traditionellen Vorgehen (Wasserfall, V-Modell) steht. Die agile Software-Entwicklung ist ein Überbegriff für eine Reihe von Frameworks und Praktiken, die auf den Werten und Prinzipien des Manifests für die agile Software-Entwicklung basieren. Dieses Manifest wurde im Jahr 2001 als Folge der Auseinandersetzung mit den bis dahin vorhandenen agilen Disziplinen erstellt und ist als Kulminationspunkt und nicht als Startpunkt zu verstehen[3]. 17 Vertreter der agilen Disziplinen haben sich auf grundlegende, gemeinsame Werte und Prinzipien verständigt.

Dieser Umstand zeigt deutlich, dass agile Software-Entwicklung Kultur- und Mindset-getrieben ist. Nochmal zum Buchstabieren: Es ist systemimmanent. (Systemimmanent bedeutet, dass etwas einem System innewohnt.)

Die Bedeutung von Kultur & Mindset werde ich nun darlegen.

Kultur & Mindset

Unter Mindset wird eine bestimmte Denkweise oder innere Haltung verstanden. Das Mindset wird durch Werte und daraus abgeleitete Prinzipien beschrieben, die das Verhalten eines Menschen beeinflussen.

Quelle: Persönliche Veränderungskompetenz und Agilität stärken[4]

Simon Powers stellte in seinem Blog die Agile Onion vor, anhand derer er den Unterschied zwischen “doing agile” und “being agile” erklärte. Sichtbare Elemente wie Prozesse und Praktiken können variieren (“doing agile”).

“Being agile” ist ein Ausdruck des agilen Mindsets: Das Verinnerlichen und Leben von Werten und Prinzipien im ständigen Abgleich mit der vorliegenden Situation ist die tägliche Herausforderung und formt langfristig ein agiles Mindset[5].

Das agile Arbeiten ist also handlungsleitend geworden. Es wird deutlich, dass die Agilität eine Frage des Mindsets und nicht ausschließlich der Praktiken ist. 

Agile Onion, Quelle: Powers, S., What is Agile?, 2016

Gemäß der Forschung von Carol Dweck bezüglich des Growth Mindsets ist eine agilitäts-förderliche Einstellung erlernbar. Dafür werden die Bereitschaft zum Ausbrechen aus bestehenden Denkmustern, persönliche Flexibilität, Neugierde, Mut, Optimismus, Anstrengungsbereitschaft und Zeit benötigt[6]. Und nicht vergessen: Einige diese Werte kennen wir bereits aus dem Scrum Guide.

Vor diesem Hintergrund ist die Unternehmenskultur anzuführen. Wenn das agile Arbeiten im Unternehmen eingeführt oder auch erweitert wird, ist je nach Ausgangspunkt der Kulturwandel zu berücksichtigen, da ein wechselseitiger Zusammenhang zwischen dem agilen Mindset und der Unternehmenskultur besteht[7].

Wie entsteht jedoch das vielgepriesene “agile Mindset”? 

Ganz einfach, man erarbeitet es sich. Agiles Arbeiten ist sehr fair – je mehr Erfahrung man damit hat, desto besser wird man.

Eine der grundlegenden Erkenntnisse ist, dass Denken und Handeln sich gegenseitig beeinflussen. Je schneller man mit agilen Arbeiten startet, desto schneller kann man gut werden. Durch Ausprobieren von neuen Praktiken kann sich das Mindset entwickeln. Lest gerne Bücher und zieht Euch so viel Theorie wie möglich rein, aber sobald ihr agil arbeitet, werdet ihr merken, dass Lektüre noch eines Buches und noch eines Buches Euch nicht weiterhelfen wird. Steffen hat das in seinem Blogpost Practice Illusion sehr ausführlich beschrieben.

Stattdessen baut man Intuition auf. Diese füttert wiederum Entscheidungen und Handlungen. Das agile Mindset entsteht. Stück für Stück.  

Agiles arbeiten ist auch eine Entscheidung über Tooling und Praktiken, aber es geht vor allem darum, Kultur und Mindset zu schärfen. Schafft eine Umgebung, in der man sich trauen und vertrauen kann. Das ist mehr wert, als Jira und Confluence.

Nur so können Organisationen die zunehmende Dynamik (schnell ändernde Kundenbedürfnisse, neue Marktlücken, exponentiellen Marktentwicklungen) mit Anpassungs- und Handlungsfähigkeit beantworten. Statt die Umsetzung eines Planes zu organisieren, gilt es, durch organisiertes Reflektieren und Lernen wiederholt zu adaptieren (inspect & adapt). Anstelle eines Gesamtplans rückt eine Vision. Es gilt, planvoll und zügig die nächsten Schritte anzugehen – also mutig zu handeln. Das geht nicht mit Standardrezepten (Kontrolle und Checklisten), sondern mit einem gemeinsamen Verständnis, getragen von Kultur und Mindset. 

Dazu bedarf es vor allem Taten, Mut und Zeit. Das heißt, anstatt Mitarbeitenden pauschal ein agiles Mindset abzusprechen, seht es so: „Sie haben einfach noch nicht genug Erfahrung gesammelt!“

Was hat das mit der Führungskraft zu tun?

Als Führungskraft kommt einem eine besondere Verantwortung zu, diesen Rahmen und Prozess zu gestalten. Die Führungskraft ist stets Vorbildfunktion und hat die Werte, Prinzipien und Kultur, welche das agile Mindset prägen, in den Aufgabenbereich zu integrieren. Das Verhalten der Führungskraft prägt entscheidend das Verhalten der Mitarbeiter.

Führungskräfte legen die Ausrichtung der Teams auf die Organisation fest, indem es seinen Aufgabenbereich definiert und die Maßstäbe für die Bewertung seiner Leistung bestimmt. Dabei spiegeln die Werte die Grundprinzipien wider, für die das Team oder Organisation steht und an die es sich hält. Werte sind erstrebenswert, schränken aber auch das Verhalten ein, da sie das Verhalten lenken und steuern. Sie bilden die Grundlage, auf der strategische, operative und zwischenmenschliche Entscheidungen getroffen werden. Die Führungskraft ist also ein Katalysator. 

Wie sollte eine agile Führungskraft aufgestellt sein?

Hier bietet das HAVE-Modell Orientierung. Es wurde 2017 von dem Unternehmen metaBeratung GmbH in Zusammenarbeit mit dem “International Institute for Management Development” (IMD) entwickelt. 

Weltweit wurden mehr als 1.000 Führungskräfte befragt, um zu verstehen, wie Organisationen in der Digitalisierung geleitet werden. Dabei wurden die vier Kompetenzen und die drei Verhaltensweisen identifiziert und unter dem Begriff „agile Führungskraft“ zusammengefasst.

Das HAVE-Modell beschreibt Kernkompetenzen und Verhaltensweisen einer agilen Führungskraft. (Im nachfolgenden Satz die Augen aufmachen und das Akronym erkennen!)

Die agile Führungskraft ist humble (bescheiden), adaptable (anpassungsfähig), visionary (Fähigkeit eine klare Vision zu entwickeln) und engaged (engagiert). Dies sollte gepaart werden mit drei spezifischen Verhaltensweisen, die Agilität bestärken. Diese sind hyper-bewusst nach Chancen und Risiken Ausschau zu halten, sachkundige Entscheidungen treffen zu können und schnell zu handeln. Idealerweise sollten alle drei Fähigkeiten ausgeprägt sein. Sind nur zwei Fähigkeiten ausgeprägt, wird eine Warnung samt Entwicklungspotential ausgesprochen: 

Quelle: metaberatung.com

Wenn Ihr mehr zu diesem Modell erfahren möchtet, sei Euch dieser Artikel empfohlen.

Quellen

  • [1] Vgl. Ambler, S. W., Agile Software Development, 2011, S. 29.
  • [2] Vgl. Highsmith, J., History: The Agile Manifesto, 2001.
  • [3] Vgl. Highsmith, J., History: The Agile Manifesto, 2001.
  • [4] Freyth, A., Persönliche Veränderungskompetenz und Agilität stärken, 2019, S. 175.
  • [5] Vgl. Powers, S., What is Agile?, 2016.
  • [6] Vgl. Freyth, A., Persönliche Veränderungskompetenz und Agilität stärken, 2019, S. 178 f.
  • [7] Vgl. Freyth, A., Persönliche Veränderungskompetenz und Agilität stärken, 2019, S. 249.
Avatar von Helen Sedlmeier

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


Für das Handling unseres Newsletters nutzen wir den Dienst HubSpot. Mehr Informationen, insbesondere auch zu Deinem Widerrufsrecht, kannst Du jederzeit unserer Datenschutzerklärung entnehmen.