Ich erinnere mich noch an ein Kommunikations-Training, das ich vor Jahren mit mehreren Auszubildenden gemacht habe. Sie hatten schon früh Energydrinks und Schokoriegel intus, aber ihre Beteiligung war mehr als gering. Und das in einem Training, das stark vom Mitmachen abhängig ist.
Sie schauten mich an, schienen aufmerksam, aber auf Fragen reagierten sie ungewohnt zögerlich und auch sonst waren sie ziemlich passiv. Ich zog all meine Register der Aktivierung, blieb aber erfolglos. Am Ende des ersten Tages war ich ratlos und frustriert. Was hatte ich falsch gemacht? War das Training so uninteressant für junge Erwachsene? Mochten sie mich nicht? Ich zweifelte an mir und wusste nicht weiter.
Flucht nach vorne
Also trat ich die Flucht nach vorne an: Gleich zu Beginn des zweiten Tages erzählte ich von meiner Irritation, meinen Zweifeln und meiner Ratlosigkeit – ich zeigte mich in meiner ganzen Verletzlichkeit. Die Gruppe war überrascht und gleichzeitig berührt von meiner Offenheit. Sie gab mir zu verstehen, dass sie sich keinesfalls langweilte, sondern dass sie einfach eine ruhige, zurückhaltende Gruppe sei. Und dass das nichts mit mir zu tun habe.
Du kannst dir bestimmt vorstellen, dass der zweite Tag anders verlief als der erste – Stimmung und Mitarbeit waren deutlich besser.
Seid nahbar
Daraus und aus etlichen ähnlichen Erfahrungen habe ich gelernt: Menschen mögen Menschen aus Fleisch und Blut. Die ganz „normal“ sind, zugänglich, kein großes Ego mit sich herumtragen und vor allem eines ermöglichen: Verletzlichkeit zu zeigen. Und damit einen sicheren Rahmen schaffen, in dem Menschen keine Angst haben, frei zu sprechen.
Das gilt auch und besonders für Führungskräfte. Google hat in einem internen Projekt herausfinden wollen, was erfolgreiche Teams ausmacht. Die psychologische Sicherheit war der entscheidende Faktor, also ein Klima von zwischenmenschlichem Vertrauen und gegenseitigem Respekt, in dem die Leute gerne sie selbst sind. In dem niemand bloßgestellt, zurückgewiesen oder bestraft wird, wenn er oder sie offen spricht.
Zentrale Rolle Führungskraft
Eine zentrale Figur dabei ist die Führungskraft – egal, ob Vorgesetzte/r oder laterale Rolle wie z. B. Scrum Master. Sie inspiriert den Rahmen, in dem das Miteinander abläuft. Sie fungiert als Vorbild, ob sie das bewusst will oder nicht. Und hier kannst Du ansetzen: Du kannst den psychologisch sicheren Rahmen aufbauen, indem Du dich vertrauensvoll öffnest und dich selbst verletzlich zeigst.
Es ist eine Einladung an die anderen Mitglieder des Teams, das Gleiche zu tun – Vertrauen zu haben und sich mit ihren Gedanken, Wünschen und Bedürfnissen zu zeigen. Das ist der direkte Weg, um in eine gute Verbindung zu kommen. Und das ist es doch, was Führungskräfte und Teams brauchen: gute Beziehungen.
Stärke geht in viele Richtungen
Wenn Du jetzt denkst: Muss ich als Führungskraft nicht immer stark sein – das steckt doch im Wort „Kraft“ schon drin? Immer den Überblick haben, die Lage beherrschen, wissen was zu tun ist, keine Schwäche zeigen, seinen Mann oder seine Frau stehen?
Ja, stark darfst du gerne sein. Stark darin, auch vermeintliche Schwäche zu zeigen. Vertrauen zu haben. Verletzlich zu sein. Das werden Dir Deine Mitarbeiter/innen danken.
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