Wenn du mal genau hinschaust: Welche Nachrichten liest du hauptsächlich in der Zeitung? Steht da, dass wir in der friedlichsten Welt aller Zeiten leben? Oder dass Tausende von Flügen problemlos verlaufen sind? Oder dass die Zahl der Mordopfer seit Jahren rückläufig ist?
Nein, da steht etwas von Kriegen, Flugzeugabstürzen und Amokläufen. Unsere Aufmerksamkeit ist mehr auf das negative, vermeintlich lebensbedrohende ausgerichtet als auf das, was gut läuft und unser Leben sichert. Das beschreibt der sogenannte Negativity Bias: Negative Reize kommen schneller im Gehirn an, werden stärker wahrgenommen und wirken länger als positive. Vermutlich dient(e) diese Verzerrung dazu, uns vor Gefahren zu warnen und so unser Überleben zu sichern.
Unser Blick auf Mitmenschen
Genauso schauen wir auch auf uns und unsere Mitmenschen – Schwächen oder Defizite sehen wir als erstes und erleben sie als bedeutsamer als sie sind. Und lassen die Stärken eher unberücksichtigt.
Dabei ist es viel sinnvoller, seine Stärken auszubauen als seine Schwächen ausmerzen zu wollen. Die Mehrzahl der Menschen hält ihre Schwächen für vergleichbar leicht veränderlich und ihre Stärken für unveränderlich – dabei ist es umgekehrt. Wenn ich z. B. kein Talent für Sprache habe, kann ich ganz viel investieren und werde doch nie wie ein Native Speaker klingen. Aber ich kann mit einigem Aufwand die Sprache gut genug sprechen, um mich verständigen zu können.
Es ist leider auch in der Arbeitswelt immer noch verbreitet, mehr auf die Defizite zu schauen als auf die Stärken, die Mitarbeiter:innen mitbringen. Damit wird an den falschen Stellen geschraubt und viel Potential verschenkt.
Positive Psychologie
Eine Alternative zeigt die Positive Psychologie auf, die seit Ende der Neunziger untersucht, was Menschen zu Wohlergehen und Lebenszufriedenheit bringt und unter welchen Umständen sie geradezu aufblühen. Martin Seligman, ein zentraler Vertreter der PP, beschreibt die notwendigen Bausteine dafür in seinem PERMA-Modell, das er aus seiner empirischen Forschung entwickelt hat. Es sagt aus, was es braucht, damit Menschen in ihr volles Potential, ins sogenannte Aufblühen (engl. „flourishing“) kommen können:
P wie Positive Emotions
Hier geht es darum, positive Gefühle bewusst wahrzunehmen und zu kultivieren. Gefühle wie Freude, Neugier, Stolz oder Dankbarkeit erweitern die Wahrnehmung, unterstützen geistige Flexibilität, Kreativität und Offenheit und verbessern die Fähigkeit, Probleme zu lösen. Wer das nutzt, erfährt mehr Selbstwirksamkeit und kann damit langfristig neue Ressourcen aufbauen.
„Negative Gefühle schreien uns an, positive flüstern nur.“ sagt Prof. Barbara Fredrickson, eine wichtige Vertreterin der PP. Man muss also genau hinhören, um die Positiven wahrzunehmen.
Von Fredrickson stammt auch die sogenannte Positivity Ratio: Danach braucht es für echtes Aufblühen im Leben ein durchschnittliches Verhältnis von 3 positiven zu 1 negativen Gefühl.
E wie Engagement
Das ist ein Zustand, in dem Menschen voll in ihrer Aufgabe aufgehen, Raum und Zeit vergessen
und sich nur noch um die Tätigkeit kümmern. Auch als Flow bekannt. Um den zu erreichen, braucht es den Einsatz unserer persönlichen Stärken. Dafür ist es wichtig, seine Stärken zu kennen, zu entwickeln und sie dann auch gewinnbringend anzuwenden.
Martin Seligman hat mit Christopher Peterson ein Modell mit 24 Charakterstärken entwickelt. Das sind z. B. Neugier, Urteilsvermögen, Ausdauer, soziale Intelligenz oder Führungsvermögen.
Welche du genau hast, kannst du über einen kostenlosen, wissenschaftlich fundierten Test auf www.charakterstaerken.org herausfinden.
R wie Relationships
Der Mensch ist ein soziales Wesen. Enger sozialer Austausch – das Knüpfen, Nutzen und Ausleben von positiven Verbindungen – ist ein wichtiger Teil des Wohlbefindens. Menschen, die sich einsam fühlen, haben deutlich häufiger Krankheiten wie Bluthochdruck, Entzündungen oder Demenz.
Das Umfrageinstitut Gallup untersucht weltweit den Zusammenhang zwischen positiver Führung und wirtschaftlichem Erfolg. Eine der Fragen lautet „Haben Sie einen engen Freund an Ihrem Arbeitsplatz?“. Daraus lassen sich Rückschlüsse auf Arbeitszufriedenheit und -sicherheit, Zahl der Krankheitstage und Rentabilität ziehen.
M wie Meaning
„Wer Menschen motivieren will und Leistung fordert, muss Sinnmöglichkeiten bieten“ sagte Viktor Frankl, der Begründer der Logotherapie. Wer einen Sinn für sich hat, hat eine höhere Lebenszufriedenheit und -erwartung. Wenn dagegen ein Sinn fehlt, sind sozialer Rückzug, Depression und Angstzustände häufiger.
Arbeitnehmer ohne Verständnis von Sinnhaftigkeit kommen später ins Büro, gehen früher
und betrügen häufiger bei der Spesenabrechnung. Wer dagegen den Sinn seiner Arbeit kennt, leistet mehr und weiß, wofür er seine Zeit und Energie am besten einsetzt.
A für Accomplishment
Erfolge und das Erleben von Selbstwirksamkeit und Kompetenz können echte Hochgefühle bewirken. Wenn wir etwas gut können und uns etwas gelingt, verschafft uns das Befriedigung.
Wichtig dafür ist, sich realistische Ziele zu setzen, um auch wirklich erfolgreich sein zu können und nicht von vornherein an zu hohen Ansprüchen zu scheitern.
Und: Erfolge müssen anerkannt und gefeiert werden! Das kommt meist viel zu kurz.
“The more you praise and celebrate your life, the more there is in life to celebrate.” (Oprah Winfrey)
PERMA in der Führung
Wenn wir nun das PERMA-Modell auf das Thema Führung anwenden und somit zu einem Positive Leadership kommen, geht es zusammengefasst darum:
- Momente von Freude, Interesse und andere positive Emotionen bewusst erleben – Effekte von Stress, Ärger und anderen negativen Einflussfaktoren minimieren.
- Stärken genauer wahrnehmen, konstruktiver einsetzen und häufiger anwenden können – bei sich selbst und bei den eigenen Mitarbeitern.
- Und damit Schwächen kompensieren oder weniger relevant machen.
- Die soziale Eingebundenheit des Einzelnen sowie die positiven Verbindungen innerhalb eines Teams oder einer Organisation stärken.
- Den Mehrwert der eigenen Arbeit verstehen, begründen und kommunizieren können.
- Motivierende Ziele anstreben, formulieren und deren Erreichung wahrnehmen und
- feiern können. Für sich selbst und in der Führung.
Und was hat nun das Unternehmen davon, wenn ich das beherzige? In zahlreichen Studien wurden u. a. folgende positive Effekte gefunden:
- weniger Fehltage
- höhere Mitarbeiterzufriedenheit
- höhere Mitarbeiterloyalität
- größere Kundenzufriedenheit
- höhere Umsätze
- höhere Aktienkurse
Kein Selbstzweck!
Positive Leadership ist also kein Selbstzweck, sondern ein Führungsstil, der aufzeigt, wie Zufriedenheit und Unternehmenserfolg durch Stärkenorientierung und Potentialentfaltung gesteigert werden können. Es geht beileibe nicht darum, nur noch die rosarote Brille aufzusetzen und nicht mehr zu kritisieren. Wie schreibt es Christian Thiele (2021) so schön:
“Erfolg, Anstrengung und Leistung sind wichtige Ziele von Positive Leadership, dazu ist das Lernen aus Kritik und aus Fehlern enorm wichtig. Nur eben nicht ausschließlich, denn in vielen Unternehmen und Organisationen herrschen die Defizitbrille und der Negativfokus vor. In Ergänzung dazu wollen positiv Leitende das Gelungene und Gelingende in den Blick nehmen – in einem konstruktiven Verhältnis zwischen Lob und Kritik.”
Zum Weiterforschen
- Fredrickson, B. (2009): Positivity: Top-Notch Research Reveals the 3-to-1 Ratio That Will Change Your Life.
- Seligman, M. (2012): Flourish – Wie Menschen aufblühen: Die Positive Psychologie des gelingenden Lebens.
- Ebner, M. (2019): Erfolgreich führen mit PERMA-Lead: die fünf Schlüssel zur High Performance.
Seine Homepage. - Thiele, C. (2021): Positiv führen für Dummies.
Sein Podcast “Positiv führen”.
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