Du kennst das bestimmt auch: Ein Team liefert nicht und dabei ist in dem Team doch eigentlich alles gut. Es herrscht Harmonie und dass es den Teammitglieder nicht an Arbeit mangelt, wird auch jedes Teammitglied bestätigen können.
In Retrospektiven wird fleißig an Verbesserungen gearbeitet, weil Unzufriedenheit über den Outcome des Teams bspw. von Stakeholdern deutlich zum Ausdruck gebracht wird. Die beschlossenen Action Items werden anschließend auch versucht umzusetzen.
Und doch ist – zumindest für Außenstehende – ja irgendwie offensichtlich, dass hier irgendwas grundlegend nicht stimmen kann, wenn das mit dem zuverlässigen Liefern weiterhin nicht klappt.
Die 5 Dysfunktionen eines Teams
Das Positive erstmal vorweg. Du bist mit solch einer Erfahrung nicht allein! Erinnere dich nur mal an deine Kindheit zurück, wenn du Mannschaftssport betrieben hast. Da war anfangs garantiert mindestens dieser eine (Mit)Spieler, der immer den Ball hatte und alles alleine versuchte.
Vielleicht hast du am Anfang deiner sportlichen Aktivitäten auch Unstimmigkeiten darüber erlebt, wer denn im Angriff spielt und wer in der Verteidigung. Das war bei Ballsportarten immer gut daran zu erkennen, dass alle (bis auf den Torwart) da waren, wo der Ball gerade war.
Im verstärkten Maße gibt es das leider auch in der Berufswelt, wo Politik, eigene Interessen und Misstrauen häufig auch noch schwer ersichtlich an der Tagesordnung sind. Und weil dem so ist, haben sich auch schon schlaue, erfahrene Menschen mit der Problematik befasst, denn diese Problematik kostet Firmen weltweit jeden Tag unglaublich viel Geld.
Einer von diesen mindestens mal erfahrenen Menschen ist Partick Lencioni. Er ist ein US-amerikanischer Manager, Beratungsfirma-Gründer, Referent und Autor von Managementliteratur. Seine Schwerpunkte sind dabei Unternehmensentwicklung, organisatorische Gesundheit und Teambildung.
It’s as simple as this. When people don’t unload their opinions and feel like they’ve been listened to, they won’t really get on board.
Patrick Lencioni
In einem seiner Bücher beschreibt er anhand einer Fabel 5 Dysfunktionen, die eine Gruppe von Individuen davon abhält, ein wirkliches und erfolgreiches Team zu werden. Welche Dysfunktionen und damit Gründe das in meinen Worten sind und woran du diese meiner Erfahrung nach in deinem Team erkennen kannst, das erfährst du jetzt.
Egoismen
Die erste Dysfunktion wird häufig als fehlender Fokus auf Ergebnisse beschrieben. Das empfinde ich aber als eine mindestens mal unglückliche Formulierung, denn meiner Erfahrung nach gibt es auch in einer Gruppe von Individuen – wie ich nicht funktionierende Teams zu nennen pflege – durchaus den Fokus auf Ergebnisse.
Dieser Fokus besteht aber nicht auf ein übergeordnetes und damit gemeinsames Ergebnis, sondern auf individuelle Ergebnisse und damit Ziele. Und das lässt sich doch wunderbar mit Egoismen beschreiben.
Wenn das Verhalten von Teammitgliedern durch Egoismen geprägt ist, dann ist dies meist sehr schwer zu erkennen, weil man solche, eigenen Ziele nie öffentlich kundtun würde.
Wenn man sich allerdings die grundsätzliche Motivation eines jeden Teammitglieds vor Augen führt, sich in die Situation jeder einzelnen Person hineinversetzt, dann finden sich mutmaßlich schon einige Gründe und damit Ziele, die dann auch unterschwelliges Verhalten erkennbar werden lassen können. Diese sind bspw.:
- Profilierung
- Status
- Beförderung
- Gehaltserhöhung
- Cover your ass
- Hero Culture
Fehlende Peer-Accountability
Die zweite Dysfunktion wird im deutschsprachigen Raum häufig als fehlende Verlässlichkeit beschrieben. Da hab ich ja schon rein von der Übersetzung her ein Problem damit, denn „lack of accountability“ heißt übersetzt eigentlich so etwas wie „fehlende Rechenschaft(-spflicht)“ oder „fehlende Verantwortlichkeit“.
Lack of accountability meint, dass man für Zusagen (z. B. die Erledigung gewisser Aufgaben bis zu einem vereinbarten Zeitpunkt) eine Verantwortung hat und bei Nichterreichen auch begründet darlegen muss, warum die Zusage nicht eingehalten werden konnte. Kurz: Rechenschaft ablegen.
Nun kann ich sehr gut verstehen, dass der Begriff Rechenschaft oder gar Rechenschaftspflicht sogar in nicht agilen Umfeldern für Unbehagen und Zähneknirschen sorgt! Deshalb würde ich liebend gern einen anderen deutschen Begriff dafür nutzen. Wenn du einen passenden Begriff für mich hast, lass ihn mich in den Kommentaren oder auf LinkedIn wissen. Solange ich keinen habe, bleibe ich bei Accountability …
Mir reicht fehlende Accountability so aber nicht aus, denn wissenschaftlich nachgewiesen braucht es die Einforderung von Accountability durch die Teammitglieder. Begründet wird dies mit dem Effekt der Peer Influence bzw. des Peer Pressures.
Demnach hat das durchaus auch kritische bzw. korrigierende Feedback eines Teammitglieds (Peers) eine stärkere und längere Wirksamkeit als wenn der Chef die gleiche Aussage mit den gleichen Worten treffen würde.
Dies gilt meiner Erfahrung nach auch für spezielle Rolleninhaber, wie bspw. Scrum Master und Product Owner in Scrum. Deshalb nenne ich die zweite Dysfunktion fehlende Peer-Accountability.
Peer pressure and the distaste for letting down a colleague will motivate a team player more than any fear of authoritative punishment or rebuke.
Patrick Lencioni
Die zweite Dysfunktion: Fehlende Peer-Accountability
Erkennen kann man das Fehlen dieser Peer-Accountability bspw. an …
- fehlenden, unmittelbaren Rückfragen bei Verfehlen getroffener Zusagen (z. B. Ist nur noch ein bisschen. Hab ich sicher bis morgen zum Daily fertig!)
- fehlender Aufbringung des Themas in einem späteren Daily oder in der Retrospektive (z. B. Ich frage mich, welche Unterstützung Aufgabe X braucht, um nur leicht verspätet abgeschlossen zu werden?)
- fehlenden Unmutsäußerungen zu gebrochenen Zusagen (selbst bei Abwesenheit des Zusagenden)
Fehlendes Commitment
Die dritte Dysfunktion wird im deutschsprachigen Raum häufig als fehlende Übernahme von Verantwortung beschrieben. Das trifft meiner Meinung nach aber auch wieder nicht voll den Kern des englischen Wortes Commitment. Das steht nämlich für Bindung (das Sichbekennen) bzw. Verpflichtung (das Sichverpflichten).
Damit wird dann auch klarer, was Patrick Lencioni mit diesem Punkt meint. Er meint nämlich, dass die Teammitglieder nicht wirklich mit einer Vision, einem Projekt oder Entscheidungen im Einklang stehen oder konform gehen. Grund dafür ist häufig die mangelnde Einbindung in Entscheidungsprozesse, die oft auch selbstverschuldet ist.
Das große Risiko für Unternehmen ist bei fehlendem Commitment das Phänomen des Silent Quittings, bei dem Mitarbeiter keine Bereitschaft für irgendeinen zusätzlichen Einsatz über die normale Arbeitszeit hinaus zeigen. Verheerend für das Unternehmen wird es dann mit dem Quiet Quitting, bei dem Mitarbeiter Output, Meetingteilnahmen und Mitarbeiterinteraktion auf ein gerade noch rechtlich unangreifbares Minimum reduzieren.
Die dritte Dysfunktion: Fehlendes Commitment
Aufmerksam sollte man daher werden, wenn …
- das Treffen unklarer Entscheidungen schlicht akzeptiert wird. Unklare Entscheidung meint hier, dass nicht feststeht wer mit wem bis wann was macht.
- das Treffen nachteiliger Entscheidungen wider besserem Wissen akzeptiert wird
- keiner dafür sorgt, dass eine Aufgabenübernahme mit Lieferzeitpunkt und übernehmender Person dokumentiert wird
- immer wieder über das gleiche Thema diskutiert wird (selbst wenn bereits eine Entscheidung getroffen wurde)
- Teammitglieder sich immer wieder verspäten
- Teammitglieder wenig bis gar nicht kommunizieren
- Teammitglieder wenig bis kein Engagement zeigen
- Teammitglieder wenig bis keine Eigeninitiative zeigen
- Transparenz schaffende Prozesse und / oder Werkzeuge abgelehnt werden (Tickets, Ticket-Assigning, Walk the Board, …)
Harmoniesucht
Die vierte Dysfunktion wird im deutsch- wie auch englischsprachigen Raum häufig als Angst vor Konflikten beschrieben. Du ahnst es schon, auch hier finde ich den Begriff wieder nicht so hundertprozentig passend, weil die Teammitglieder ja durchaus in Konflikte gehen, wenn diese denn sie selbst primär und wirklich betreffen. Stichwort Egoismen.
Aber geht die Welt davon unter, wenn ich im Arbeitskontext nicht in den Konflikt gehe? Privat sieht die subjektive Bewertung da bei den Meisten schon anders aus. Hinzu kommt, das Angst vor Konflikten aus meiner Sicht nur ein Auswirkung beschreibt, nicht aber die eigentliche Ursache.
Die eigentlich Ursache wird meiner Meinung nach viel besser mit dem Wort Harmoniesucht beschrieben. Nun hat jeder Mensch im Normalfall ein Harmoniebedürfnis, was quasi das gesunde Bedürfnis nach Harmonie betitelt. Harmoniesucht beschreibt die Psychologie dagegen durch ein übersteigertes Verlangen nach einem friedlichen Miteinander, wodurch jegliche Konflikte vermieden und Auseinandersetzungen nur schwer ertragen werden.
Der Einfluss dieser Harmoniesucht resultiert im schlimmsten Fall in einem toxischen Arbeitsumfeld, was Unternehmen in der ganzen Welt wiederum viel Geld und sogar die wertvollen Arbeitnehmer aufgrund von Frustration kostet.
Mehr Lesestoff
Toxisches Arbeitsumfeld –
Wie Du es erkennst
Deine Arbeit macht dich Krank? Woran du ein toxisches Arbeitsumfeld erkennst, erkläre ich dir in diesem Post.
Toxische Positivität –
Wahrnehmung und Umgang
Toxische Positivität – Was das ist, wie du sie erkennst und was du dann unternehmen kannst, erkläre ich in diesem Beitrag.
Die vierte Dysfunktion: Harmoniesucht
Harmoniesucht kann vorliegen, wenn …
- über- statt miteinander gesprochen wird und Kritik nur hinter dem Rücken der betroffenen Person erfolgt
- bei Themen geschwiegen wird
- Fakten oder wertvolle Informationen verschwiegen werden
- der Elefant im Raum trotz Kenntnis oder Wahrnehmung nicht angesprochen wird
- Entscheidungen auf Basis von negativem Outcome (Konsequenzen) statt positivem Outcome (Chancen) getroffen werden
- Kommunikation überwiegend im Konjunktiv (könnte, müsste, sollte, …) stattfindet
- Konfliktflucht stattfindet (Ist mir zu kindisch! oder Ist mir zu doof! als Fluchtbegründung)
- Standpunkte nicht verteidigt werden
Fehlendes Vertrauen
Die fünfte und letzte Dysfunktion empfinde ich als absolut korrekt beschrieben – und das sowohl im deutsch- wie auch englischsprachigen Raum. Es geht um fehlendes Vertrauen.
Jeder der die Maslowsche Bedürfnispyramide kennt, weiß über das extrem hohe und starke Bedürfnis des Menschen nach Sicherheit. Vertrauen ist nun das subjektive Gefühl von Sicherheit.
Ohne Vertrauen in die Fähigkeiten meiner Teamkollegen, in den Handlungswillen dieser, in die Vorgaben von nicht-Teammitgliedern (Rolleninhaber, Stakeholder, Führungskräfte, …), in die Zuverlässigkeit anderer und die Integrität aller Beteiligten wird man mit einer Gruppe von Individuen nie ein gestecktes Ziel („on time and budget“) erreichen.
Ohne Vertrauen in einen sogenannten Safe Space oder ein Blameless Environment sind echte Verbesserungen in der Art und Weise der Zielerreichung eines Teams nicht nur schwer, sondern meiner Meinung nach überhaupt nicht möglich!
Insofern ist wohl unumstritten klar, warum Vertrauen so existenziell wichtig für Teams und deren Erfolg ist. Gleichzeitig ist dieses bitter notwendige Vertrauen aber auch vielerorts nicht ansatzweise wirklich vorhanden.
Die fünfte Dysfunktion: Fehlendes Vertrauen
Fehlendes Vertrauen kann vorliegen, wenn…
- trotz der Einigung auf Plan A heimlich bereits Plan B und C ausgearbeitet werden
- eigene Fehler verheimlicht werden
- eigene Fehler vertuscht werden
- eigene Verantwortung anderen in die Schuhe geschoben wird
- Teammitglieder Selbstschutzmaßnahmen ergreifen („cover your ass“)
- anderen prinzipiell nicht geglaubt wird
- andere heimlich kontrolliert werden (z. B. inoffizielle Code-Review)
- Sorgen, Nöte, Bedenken aber auch Bedürfnisse nicht im Team ausgesprochen werden
- eigene Schwächen oder sogar Stärken nicht geteilt werden
Die Kausalkette dysfuntionaler Teams
Das waren nun die 5 Dysfunktionen eines Teams nach Patrick Lencioni, die ich um mein Verständnis und meine Erfahrung erweitert habe. Diese lassen sich bspw. mit der 5W-Methode bzw. 5-Why-Methode in eine Kausalkette bringen und verdeutlichen so noch mal die Komplexität des Themas.
- Warum existieren Egoismen in Teams?
Weil die Teammitglieder sich nicht gegenseitig zur Rechenschaft ziehen.
- Warum ziehen sich die Teammitglieder nicht gegenseitig zur Rechenschaft?
Weil die Teammitglieder nicht mit den Teamzielen im Einklang stehen oder konform gehen.
- Warum stehen die Teammitglieder nicht mit den Teamzielen im Einklang oder gehen konform mit diesen?
Weil die Teammitglieder nicht wirklich in den Entscheidungsprozess eingebunden waren.
- Und warum waren die Teammitglieder nicht wirklich in den Entscheidungsprozess eingebunden?
Weil die Teammitglieder diese Entscheidung öffentlich nicht kritisieren wollten, um einen Konflikt zu vermeiden.
- Und warum wollen die Teammitglieder einen Konflikt vermeiden?
Weil die Teammitglieder sich nicht sicher fühlten, offen und ehrlich ihre Meinung kundzutun, ohne das die Reaktion aus Verteidigung und / oder Ärger besteht.
Was tun? Ein Ausblick.
Selbst wenn man hier noch tiefer mit warum-Fragen graben könnte, merkst du sicherlich schon, dass diese Problematik eines nicht liefernden Teams sehr stark verwunden ist und die Abstellung der Probleme eine erhebliche Aufgabe werden wird.
Was du dabei tun könntest, um ein „Team“ beim Wandel in ein wirkliches Team zu unterstützen und so den Outcome des Teams größer werden zu lassen, als die Summe der Outcomes eines jeden Teammitglieds, darüber schreibe ich dann in meinem nächsten Beitrag.
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