Geschäftsmodelle stehen unter Druck. Deshalb sind Geschäftsmodell-Betrachtungen ein wichtiges Tool; auch und insbesondere im Produktmanagement. Denn ein starkes Geschäftsmodell ist der Grundstein für den geschäftlichen Erfolg. Deshalb möchte ich heute eine forschungsbasierte Methodik mit euch teilen. Nerd-Modus on fire!
Forschung & Geschäftsmodelle (oder: 350 Geschäftsmodelle später)
Das Forschungsprogramm zu Geschäftsmodellinnovationen unter der Leitung von Prof. Dr. Oliver Gassmann und Prof. Dr. Karolin Frankenberger läuft seit 2010 an der Uni St. Gallen. Dazu wurden über 350 Geschäftsmodelle betrachtet. Bei der Analyse jener Geschäftsmodelle wurden 55 Geschäftsmodellmuster (Pattern) identifiziert, die in der Geschäftsmodell-Map visualisiert sind. (Lesehinweis zur Map: Oben ist die Zeitachse dargestellt, jede Farbe ist ein Pattern. Und jeder „Stopp“ ist ein Unternehmen.)
Diese Pattern wurden in dem Buch Business Model Navigator erklärt und gleichzeitig mit einem Ansatz zur strukturierten Geschäftsmodellinnovation veröffentlicht. Man kann damit neue Geschäftsmodelle von Grund auf entwickeln oder bestehende Modelle optimieren.
Die wichtigste Erkenntnis ist, dass über 90 Prozent aller Geschäftsmodellinnovationen Rekombinationen aus bestehenden Konzepten, Ideen oder Geschäftsmodellen sind. Das bedeutet: jeder kann diese Patterns nutzen! Als Inspirationsquelle, um davon zu lernen, zum Brainstorming oder um die vorherrschende Logik mithilfe von Konfrontationstechniken infrage zu stellen.
Business Model nach St. Gallen
Um das zu tun, sollte man das Grundprinzip des Business Model nach St. Gallen verstehen. Denn im Gegensatz zum Osterwalder Business Model Canvas nutzt dieses vier Geschäftsmodell-Dimensionen:
- Wer: Wer ist der Kunde und was sind seine Hauptbedürfnisse?
- Was: Was ist das Wertversprechen und Angebot zur Befriedigung der Kundenbedürfnisse? (Angebot)
- Wie: Wie stellt man dem Kunden das Wertversprechen zur Verfügung? (Wertschöpfungskette)
- Wert: Wie schafft das Unternehmen Wert? (Ertragsmechanik, Monetarisierung)
Diese vier Geschäftsmodell-Dimensionen beschreiben also, wie ein Geschäftsmodell Wert generiert und erfasst. Um eine Geschäftsmodell-Innovation zu erzeugen, kann man also eine Veränderung in diesen Dimensionen auslösen.
Ist das einsteigerkompatibel?
Nun … nicht unbedingt. Die Anwendung mehrere Patterns bedarf ein Grundverständnis und kann schnell zu “Information overload” führen. Entweder plant ihr mehr Zeit ein oder skipped die Kombination von mehreren Patterns vorerst. Wie man das macht, erläutere ich gerne nochmal in einem separaten Blogartikel.
Mein Lieblings-Pattern ist das Aikido-Pattern. Es ist simpel, augenöffnend und sehr gut für Brainstorming-Sessions geeignet. Es ist meiner Meinung und Erfahrung nach auch sehr gut geeignet, um mit Neueinsteigern in die Business-Model-Explorationen und -Innovationen zu starten.
Es ermöglicht einem, sehr groß zu denken oder auch nur inkrementelle Verbesserung zu finden. Man wird bei der Beschäftigung mit diesem Pattern viele Gedanken anregen, die ein Ergebnis erzeugen werden. Die Angst vor dem “ausbleibenden Ergebnis” kennt jeder Coach. Nutzt dieses Pattern, denn es ist einfach anzuwenden und nimmt den Druck bei den Beteiligten.
AIKIDO Pattern
Aikido ist eine japanische Kampfsportart, bei der die Kraft des Angreifers „gegen ihn“ eingesetzt wird. In Form einer Geschäftsmodell-Betrachtung bedeutet das, dass ein Unternehmen etwas anbietet, das dem Paradigma seiner Konkurrenten bzw. der Branche diametral entgegengesetzt ist. Dieses neue Angebot zieht vor allem jene Kunden an, die Ideen oder Konzepte jenseits des Mainstream-Angebots bevorzugen.
Die Konkurrenz ist in der Regel mit sich selbst beschäftigt (Homogenität & Uniformität erzeugt Druck), sodass jene von dem neuen Angebot überrascht sein wird. Das hat zur Folge, dass ihre früheren Stärken – wie z. B. ein Qualitätsvorsprung oder ein niedrigerer Preis – plötzlich zu ihren Schwächen werden, da sie mit der Andersartigkeit des neuen Gegners – also dem neuen Angebot – nicht mehr konkurrieren können. Man schlägt die Konkurrenz mit ihren eigenen Waffen.
Im Sinne des Business Models nach St. Gallen fokussiert sich das Aikido-Pattern auf die Geschäftsmodelldimensionen Was & Wie. Wobei das Wer (Kunde) dem entsprechend folgt. Es hilft, neue, ungenutzte Wachstumschancen zu finden.
Die Branchen, in dem das Pattern bisher auftritt, sind Entertainment, Retail und Information Technology. Dieses Pattern tritt in Kombination mit anderen Patterns auf, wie bspw. E-Commerce, Lock-in oder Digitaziation. (Und auch hier gilt, dass ich diese ich sicherlich noch in einem anderen Blogartikel vorstellen werde.)
AIKIDO Pattern: Beispiele
Haltet einmal kurz inne und denkt an Firmen, die entgegen Branchenstandards gehandelt haben und damit ganz neue Differenzierungs- & Wettbewerbsvorteile generiert haben. Bestimmt fällt euch etwas ein!
Falls nicht, helfe ich euch jetzt mit ein paar eindrücklichen Beispielen:
Swatch (vs. klassische Uhren bzw Digitaluhren) | Bodyshop (vs. Kosmetikindustrie) | Circe du Soleil (vs. normaler Zirkus) |
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Jetzt ihr: Schreibt mir in die Kommentare, welche Geschäftsmodelle euch mit dem Aikido-Pattern eingefallen sind. Ich bin gespannt!
Wie kann man das nutzen?
Basierend auf einer gründlichen Markt- und Branchenstrukturanalyse können die vorherrschenden Logiken, Annahmen und Überzeugungen der Branche entdeckt und verstanden werden.
Da sowas lange dauern kann, hier noch die Alternative für Kurzentschlossene: Führt interne Experteninterviews durch. Sprecht mit Key-Account-Managern, Marketing-Managern, Einkaufsstrategen; also allen, die bei euch im Unternehmen an den wichtigen Stellschrauben des aktuellen Geschäftsmodells sitzen. Vielleicht deckt allein diese Frage: “Was sind die wichtigen Stellschrauben des aktuellen Geschäftsmodells?” bereits erste Insights auf.
Diese Information und der aktuelle Ist-Zustand des Geschäftsmodells sind die Ausgangsbasis, um das Geschäftsmodell neu zu erfinden. Stellt nun Fragen wie:
- Warum gibt es diese Gesetzmäßigkeiten? Was passiert, wenn man diese anders löst?
- Welche Stärken hat der Wettbewerber? Wie könnte man die ins Gegenteil verkehren?
- Was ist das Gegenteil der aktuellen Situation?
- Welche negativen Konsequenzen hat das? Wird das immer eine negative Konsequenz bleiben? Unter welchen Umständen?
- Welche positive Konsequenz hat das? Für wen? Wie könnten wir diesen Akteur (besser oder zusätzlich) ins Geschäftsmodell einbinden?
Mit diesen Fragen und dem sehr dialogorientiertem Format könnt ihr nun die Veränderungen in den Dimensionen besprechen und mehrere Varianten des Geschäftsmodells entwickeln.
Die weiteren Schritte
Wenn ihr viele Geschäftsmodelle entwickelt habt, nutzt eine Matrix, um diese zu priorisieren. Gute Achsen im frühen Ideationprozess sind bspw. „Umsetzbarkeit“, „Visions-Fit“, „Uniqueness“, „Marktpotential“. Wer möchte keine Innovation verfolgen, die ein hohes Marktpotential verspricht und auch noch einen hohen Vision-Fit aufweist?
Mit den „besten“ Geschäftsmodell-Innovationen könnt ihr repräsentative Kunden, Early Adopter oder Lead User nach deren Sichtweisen und Konsequenzen befragen. So sammelt ihr gleich noch mehr Daten und könnt die Ideen vertesten.
… oder in kurz:
Nutzt diese forschungsbasierte Methodik, um eure Entscheidungsfindung im Rahmen von Geschäftsmodell-Innovationsprozessen zu verbessern und die Initiierungs-, Ideen-, Integrations- und Implementierungsphase zu erleichtern.
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