Mode ist wie Joghurt – Rückblick auf das Social Commerce Forum 11.06.2008

Tobias und ich waren am 11.06.2008 auf dem Social Commerce Forum in Wiesbaden. Allen Daheimgebliebenen sei gesagt, dass sie, sowohl was Sprecher als auch Programm betrifft, etwas verpasst haben. Die insgesamt neun Referenten beleuchteten das Thema „Social Commerce – Revolution oder Evolution im E-Commerce“ von unterschiedlichster Seite.

Spinat hat viel Eisen

Den Auftakt des Forums bildete der Vortrag von Prof. Dr. Klaus Gutknecht von der FH München „Quo vadis E-Commerce? Was sind „Luftblasen“ und welche nachhaltigen Entwicklungen zeichnen sich ab?“ Gut fand ich, dass er uns Teilnehmer noch einmal daran erinnerte, dass die Mehrzahl der Internet-Nutzer als passiv-aufnehmend zu bezeichnen sind, lediglich ein geringer Prozentsatz wären regelmäßige Web 2.0 Nutzer – in der Schweiz sind es laut Studie lediglich 11%, in Deutschland dürfte die Zahl ähnlich hoch/niedrig sein. Was jedoch nicht heißen soll, dass Communities nicht erfolgreich beispielsweise für Kundenbindungsmaßnahmen eingesetzt werden können. Als Beispiel nannte er Ebay, das 71.000 Mitglieder zur Teilnahme an der Community einlud (die Kontrollgruppe hatte 61.000 Kunden). Nach vier Monaten waren 4% der eingeladenen zu aktiven Mitgliedern, Enthusiasts, geworden, 14% zu sog. passiven Lurkern. Der Umsatz stieg bei diesen beiden Gruppen um 56%, zudem starteten sie zehnmal mehr Auktionen als die Kontrollgruppe.

Als Luftblasen lassen sich seiner Meinung nach diejenigen Geschäftsmodelle bezeichnen, die dem Kunden keinen echten Mehrwert bieten, kein vernünftiges Geschäftsmodell besitzen oder beispielsweise auf User als alleinge Contentlieferanten setzen, d. h. keine schlüssigen Konzepte vorweisen, also etwas, was in der „Old Economy“ auch noch nie zu langfristigen Erfolg geführt hat.

Prof. Dr. Klaus Gutknecht nutzte zudem die Möglichkeit mit der Mär des LongTail aufzuräumen, d. h. der von Chris Anderson propagierten These wonach Amazon 57% seines Umsatzes mit Long-Tail erwirtschaften würde. Das sei, wie die Vorstellung, dass Spinat viel Eisen hätte. Obwohl die Zahl längst revidiert wurde, hält sich der ursprünglich Prozentsatz und auch der damit verbundene automatische Erfolg nach wie vor hartnäckig.

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Wie wenig bis vor zwei-drei Jahren E-Commerce im Fokus war, zeigte Jochen Krisch zu Beginn seines Vortrages „Community-basierte Verkaufskonzepte auf dem Vormarsch“. Ging man seit 1995 beim Bundesverband des Deutschen Versandhandels e. V. (bvh) davon aus, dass der Versandhandelsumsatz bei 21 Milliarden Euro stagnierte, so zeigt sich, dass der Umsatz 2007 bei 27,6 Mrd. lag – jahrelang hatte man die Umsätze der Online-Versandhändler schlicht nicht berücksichtigt. 2017, so die Prognose, wird sich deren Online-Umsatz bereits 15,2 Millarden belaufen. Der klassische Versandhandel (Kataloggeschäft) beträgt dann lediglich 5,3 Milliarden Euro gegenüber 2007 mit 13,1 Milliarden.

BurdaStyle – eine Nation im Nähfieber

In Erinnerung bleiben wird definitiv der Vortrag von Benedikta von Karaisl und Nora Abousteit von BurdaStyle, der Online Community für Schnittmuster und Näh-Enthusiasten im englischsprachigen Raum. Wer hätte gedacht, dass Nähen der Trend in den USA ist, dem selbst die Business Week einen zweiseitigen Online-Artikel widmet. BurdaStyle hat laut BusinessWeek ein recht günstiges Timing gehabt. Von HowTos mit Anleitungen über ein Sewpedia, in dem mehr als 400 Begriffe rund ums Nähen erklärt werden, hin zu einer aktiven Community – BurdaStyle scheint bislang alles richtig gemacht zu haben, insbesondere wenn man bedenkt, dass die Marke Burda in den USA im Bereich Schnittmuster einen Marktanteil von 2% hat. Geld verdient wird übrigens auch – die Schnittmuster sind teilweise kostenpflichtig, wofür die Community laut den beiden Vortragenden auch vollstes Verständnis hat – bislang verzeichnete BurdaStyle mehr als 50.000 Downloads.

Nur kurz zur Lage in Deutschland: Hierzulande werden laut Wikipedia keine Haushaltsnähmaschinen mehr hergestellt, die bekannte Marke Pfaff gehört wie der amerikanische Konkurrent Singer mittlerweile zur SVG Group. Das allseits bekannte Burda Modemagazin hat laut IVW wie wohl alle Printmedien deutliche Auflagenverluste hinnehmen müssen. Im Mai 1998 waren es noch rund 319.573 verkaufte Exemplare, davon 97.949 Abonnenten, im März 2008 147.449 Hefte und 50.925 Abonnenten.

Das beste Produkt setzt sich durch

Ein Highlight des Events war sicherlich die Diskussion direkt nach der Mittagspause. Ich hatte zumindest zu Beginn das Gefühl, dass mal wieder über die besagten 11% der Internet-User gesprochen wurde, die bestens informiert sind, die breite Masse jedoch außer Acht gelassen wird. Diejenigen, die Google, Amazon und Ebay kennen und nutzen, aber ansonsten vielleicht noch von billiger.de gehört haben, werden wohl kaum von sich aus decido.de, dem „neuen Einkaufsratgeber im Internet“ aus dem Hause Pangora aufsuchen, insbesondere wenn decido laut Tim Stracke ohne Marketingmaßnahmen auskommen will und sich auf Mundpropaganda verlässt. Dass sich das beste Produkt insbesondere im Netz letztendlich durchsetzen wird, teilten nicht alle Teilnehmer. Leider wurde die daraufhin lebhafte Diskussion abgebrochen – der Zeitplan wäre sonst durcheinander gekommen. Übrigens, drei der „Podiumsteilnehmer“ diskutierten vor der Tür noch weiter.

Playstation für Frauen

Danach folgten weitere Fallstudien, wobei der Vortrag von Simon-Peter Nötzel, Julie & Grace, besonders anschaulich war und ein gutes Beispiel für den Erfolg von „Mass Customization und Social Commerce“ (so der Titel) ist. Julie & Grace gefiel mir auch deshalb besonders gut, weil es zeigt, wie die erfolgreichen Komponenten der Old Ecomomy, hervorragender Kundenservice und hohe Qualität, mit Social Commerce Feature kombiniert werden können, z. B. in einem Design Tool, mit dem man seinen Schmuck designen kann. Übrigens schrieb eine Kundin, dass das Design-Tool so was wie eine Playstation für Frauen sei.

Gefertigt werden die Schmuckstücke in Indonesien und sind laut Simon-Peter Nötzel 4-5 Tage später beim Kunden. Nach der Produktion wird das Produkt zunächst nach Deutschland geliefert, wo anschließend hochwertige Fotos des individuellen Schmuckstücks angefertigt werden. Diese bekommt der Kunde zugesendet, wodurch die Vorfreude nochmals gesteigert wird. Die Fotos werden gleichzeitig in einen „Showroom“ hochgeladen, welcher allen Kunden zur Verfügung steht. Der Clou bei diesem Konzept ist, dass bereits erstellte Schmuckstücke wieder in das Design-Tool geladen werden können und der nächste Kunde es individuell verändern darf, wodurch zig Abänderungen von bestehenden Produkten entstehen. Außerdem erhält der Designer eine Provision an jedem verkauften Stück. Das großzügig eingeräumte Rückgaberecht von 14 Tagen wurde bislang kaum in Anspruch genommen – „manche Hersteller würden von der Rückgabequote nur träumen.“

Fazit

Tobias und ich waren uns einig, dass das Forum sehr interessant war. Vielleicht trifft man den ein oder anderen Leser beim nächsten Event.

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